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Quelle: http://www.sandbothe.net/281.html

Prof. Dr. Mike Sandbothe


Media Synaesthetics

Konturen einer physiologischen Medienästhetik

 

hrsg. von Christian Filk, Michael Lommel und Mike Sandbothe, Köln: Herbert von Halem Verlag l/2004, ca. 330 S., ISBN 3-931606-59-7 (im Druck).

Der Titel Media Synaesthetics indiziert, dass Medien und Sinne nicht voneinander getrennt werden können. Jedes Medium setzt die Wechselwirkung und das Zusammenspiel der Sinne voraus. Umgekehrt ist Wahrnehmung immer medial verschaltet und strukturiert.

Unser Erkenntnisinteresse richtet sich auf Medien(de)konstruktionen, Medienkonstellationen und Medienvergleiche, auf Zwischenräume, Transgressionen und Transpositionen zwischen Medien und Sinnen. Der projektierte Band soll aus unterschiedlichen Perspektiven vor allem die Fragen fokussieren: Wie werden Sinnesdaten kombiniert, vernetzt und dekodiert? Wie beschwören Stimmen, Geräusche und Texte Bilder herauf? Wie werden Zeit-Räume im Radio und auf der Bühne entworfen? Wie spielen in Film und Fernsehen Wahrnehmung und Imagination zusammen? Wie machen Stimme und Musik in audiovisuellen und digitalen Medien etwas sichtbar, das sie zugleich verschleiern? Wie werden im Cyberspace Körperbilder konstruiert, dekonstruiert und distribuiert?

Dabei geht es sowohl um theoretisch reflektierte als auch um fiktional inszenierte Synästhesien, um intermodale Konstellationen und Kommunikationsmodi, mediale Differentiale, Inklusionen und Disjunktionen der Sinne, Projektionen und Fragmentierungen des Körperschemas. Insbesondere geraten dabei die Austauschbarkeit, Überlagerung, Verschachtelung und Kreuzung der Ausdrucks- und Kommunikationsformen Schrift, Stimme, Blick, Klang, Bewegung, Musik, Taktilität und Bild in den Fokus der Analyse und Reflexion. Damit soll zugleich ein Beitrag zur Vernetzung der häufig noch isoliert forschenden medien- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen angeboten werden.

Media Synaesthetics verstehen wir als offenes Forschungsgebiet, das Aspekte der Interaktion und wechselseitigen Durchdringung der Sinne offeriert. Nicht anthropologische Konstanten oder fixe Definitionen und Abgrenzungen der Sinne stehen im Vordergrund, sondern Inszenierungsweisen, Konfusionen und Umbrüche der Sinne, Fluktuationen und figurale Verknüp-fungen, sensuelle Überschneidungen und, „Atmosphären“ (Gernot Böhme).

In medienpluralen Gesellschaften und deren Tendenz zur simultanen und transitorischen Re-zeption sind die Grenzen der Einzelsinne nicht mehr eindeutig festlegbar. Im Zeitalter der technischen Bilder und Töne – und bald wohl auch der Kodierung von Geruch, Geschmack und Gefühl – stellt sich die Frage nach der Technologisierung der Wahrnehmung, d.h. nach dem Spielraum oder „interplay of senses“ (Marshall MacLuhan), der sich aus der Differenzqualität und Simulation der Sinne ergibt. In unserer Mediengesellschaft stoßen wir immer wieder auf Paradoxien und Hybridformen: die Taktilität des Blicks, die physische Wirkung der Schallwellen, die Sichtbarkeit der Töne und Stimmen, die Hörbarkeit der Bilder, Körperschriften, Rhythmen der Sinne, transformative Prozesse, Transpositionen und affektive Kraftlinien. Mediensynästhesie verstehen wir daher als Ausgangspunkt für kulturanthropologische Forschungen zu medialen Anatomien, Dispositiven und Transpositionen der Einbildungskraft, Schnittstellen zwischen Medien und Affekten.

Die kreative Einbildungskraft aktiviert die Vernetzung der Sinnesareale in der Hirnrinde und verwendet die Medien der technischen Bilder und Töne, aber auch die ‚alten‘ Medien Schrift, Malerei und Bühnendarstellung, für eine synästhetische Erweiterung und Bereicherung der Wahrnehmung. Kants transzendentale Synthese der Einbildungskraft wäre mit Hegels Konzept einer präsynthetischen Einbildungskraft zu konfrontieren, die die sinnliche Mannigfaltigkeit dekomponiert und auflöst, Farben ohne Form, Stimmen ohne Körper vorstellt und so – im küntslerischen Experiment – neue, ungewohnte Verbindungen, d.h. desubjektivierte Empfindungen ermöglicht.

Mit der Publikation Media Synaesthetics ist das Ziel verbunden, die Heterotopien und „Heteroästhesien“ (Bernhard Waldenfels) zwischen der Sensualität und den Medienkonfiguration zu erfassen und einem größeren Kreis von Leserinnen und Lesern zur Diskussion zu stellen.

 

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